Samstag, 30. November 2024

"Warum er - und nicht ich?"

Ich sitze bzw. liege auf dem Stuhl in der Zahnarztpraxis. Was die Zahnärztin sagt, verstehe ich nicht immer gut, denn sie sitzt zu meiner Rechten – und da bin ich taub. Aber ich höre das Radio im Hintergrund. Und irgendwann, während die Ärztin am Bohren ist, höre ich gleichzeitig hinter mir ein paar Bruchstücke einer Meldung, wo es um UNICEF und die Mangelernährung von Kindern geht. Und ich frage mich, mit welchem Recht oder Glück ich mich in einer Zahnarztpraxis behandeln lassen kann, während anderen das Lebensnotwendige fehlt.

Etwas früher am selben Tag war ich zum Freiwilligendienst im Männerwohnheim der Schwestern Mutter Teresas. Mein Dienst sieht (inzwischen) so aus, dass ich zuerst beim Putzen helfe (manchmal habe ich den Eindruck, dass es auch in einem Krankenhaus nicht sauberer zugehen kann: nach dem Frühstück sind Bewohner, Schwestern und ich Freiwilliger alle mit Putzkübeln und -lappen unterwegs) und danach mit einigen der Männer einen kleinen, knapp halbstündigen Spaziergang mache. „Es tut ihnen gut, wenn sie mal rauskommen“, sagte mir eine der Schwestern beim ersten Mal. Beim gemeinsamen Gehen kommen wir ein wenig ins Gespräch und ich lerne den ein oder anderen ein bisschen näher kennen. Manchmal lachen wir miteinander und ich merke, wie sie mir ans Herz wachsen. Michele fehlt diesmal, er ist im Krankenhaus. Zwischendurch war auf der Intensivstation. Eine Schwester erzählte mir, er habe 50 Jahre seines Lebens auf der Straße gelebt. Und ich stelle mir die Frage, die sich Papst Franziskus immer wieder bei Besuchen im Gefängnis stellt: „wieso er und nicht ich?“.

Beim Lesen des Newsletters von Radio Vatikan fallen mir an einem Tag drei Meldungen auf, wo es um Gewalt an Priestern geht: in Spanien wurde ein Franziskanerkloster überfallen und vier ältere Patres geschlagen (einer starb inzwischen an den Folgen), in Polen wurde ein Priester überfallen und noch in einem südamerikanischen Land. Und wieder wird mir bewusst, dass mein „beschaulich römisches Leben“ alles andere als der Normalfall ist.

Und schließlich sind es die Unwetterkatastrophen: Valencia war und ist ganz furchtbar, aber in diesem Jahr waren auch immer wieder einzelne Regionen Italiens betroffen. Bei den Fernsehnachrichten abends sehe ich Autos schwimmen oder Menschen in Gummistiefeln Schlamm wegschaufeln und verstehe, dass nicht alle im Sessel sitzend Nachrichten schauen können, so wie ich.

In Italien beginnt die Heizsaison zentral, so etwas habe ich ja bereits in Spanien erlebt. In der Provinz Rom sollte zwischen 15. und 19. November die Heizung eingeschaltet werden. Schon vorher war es merklich frisch. Seit ein paar Jahren verfügen wir über eine Klimaanlage, die individuell im Zimmer zu regulieren ist. Mit dieser könnte ich auch heizen. Und ich tue es nicht. Vielleicht wird manche/r das als Masochismus bezeichnen. Aber wenn ich an die Menschen in der Ukraine denke, dann tue ich mich einfach schwer damit und friere lieber ein wenig solidarisch. Wobei ich froh war, als einen Tag nach dem angekündigten Termin 15.11. doch jemand kam, um die Heizung im Haus anzuwerfen.

Und jetzt, Ende des Monats, bin ich ziemlich erkältet. Aber ich kann am Schreibtisch sitzen und Tee trinken und mich gegebenenfalls auch einmal hinlegen – welch ein Luxus!

 

 

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