Mit dem Nahverkehrszug fahre ich nach einem Besuch im Vatikan nach Hause zurück – von der Stazione S. Pietro zur Stazione Ostiense. Weil ich dienstlich dort war, habe ich ein Priesterhemd mit weißem Kragen an. Unterwegs geht ein junger, etwas verwahrlost aussehender Mann durch den Waggon und bettelt die Fahrgäste an: „Ich lebe auf der Straße, könnt Ihr mir helfen? Wenigstens 20 Cent?“ Ich lächle ihn an, Papst Franziskus sagt: „nicht wegschauen!“ – und gebe ihm nichts. Eine junge Frau mir gegenüber sagt dem jungen Bettler: „warte, ich schaue, ob ich etwas einstecken habe“ und gibt ihm dann ein paar Münzen. Ein junger Mann mit langen Haaren neben mir greift tief in seine Hosentasche und lässt ebenfalls ein paar Münzen in die Hand des Bettelnden fallen. Und ich fühle mich beschämt! Erstens weil die jungen Leute neben mir positiv auf die Bitte des Bettelnden reagiert haben, im Gegensatz zu mir. Und zweitens, weil ich mich frage, was diese sich wohl über mich „Schwarzhemd“ denken. Verpasste Chance! Den ganzen Tag über geht mir diese Szene nach und mir kommt sie wie ein Beispiel für die wiederholt gelesene These vor, dass wir uns in der Kirche „evangelisieren lassen müssen“, eben auch von „außerhalb der Kirche“.
An diesem Tag ist mir von unbekannten Menschen evangeliumsgemäßes
Leben bezeugt worden und ich kann und will das anerkennend und beschämt
eingestehen. In die Beschämung hinein mischt sich mit der Zeit auch Dankbarkeit
für die Lektion.
Vier Tage später bin ich wieder unterwegs, diesmal mit der U-Bahn. Ich möchte außerhalb Roms wandern gehen. An der Stazione Termini steigen viele Menschen zu, alle kommen gar nicht mehr in den Waggon hinein. Umfallen kann keine/r mehr, wir stehen, wie Sardinen in der Dose liegen. Bei der nächsten Station steigen ein paar Leute aus, ein paar zu, es wird etwas lockerer, und ich bemerke, dass mein Geldbeutel weg ist. Ich hatte ihn extra nicht in der Gesäßtasche, sondern in einer Tasche vorn auf der Hose auf Höhe Oberschenkel, mit Reißverschluss verschlossen. Weg! Frust, Rat- und Hilflosigkeit. Spontan steige ich aus, vielleicht sehe ich ja jemanden davonspringen. Unmöglich in der Menschenmenge. Also verlasse ich die U-Bahn-Unterwelt und fahre mit den Rolltreppen nach oben, ziemlich verstört. Was tue ich denn jetzt? Ich mache mich zu Fuß auf den Heimweg und begegne einem Polizisten, dem ich die Situation schildere und der mir sagt, ich solle bzw. müsse eine Anzeige erstatten. Und er zeigt mir auch die naheliegende Questura, bei der das möglich ist. Wenn – der zuständige Inspektor eintrifft, der ist nämlich um 8.15 Uhr noch nicht im Büro.
Ein Uniformierter weist mir vor dem Gebäude im Freien einen Platz zum Warten zu, ich sehe Menschen mit und ohne Uniform ins Gebäude hinein und wieder hinaus gehen und nutze die Zeit, meine Bankkarte zu sperren. Um ca. 8.40 Uhr werde ich ins Gebäude hineingewinkt und gehe ins Büro des Inspektors. Zwei Männer sitzen dort, einer in Uniform, einer in Zivil, denen ich mein Problem schildere. „Haben Sie denn irgendein Dokument?“ fragt mich der eine. Welche Frage! „Nein – die sind alle im Geldbeutel!“ „Okay, dann schreiben Sie Ihren Namen, Geburtsort und –Datum auf dieses Blatt“. Während ich damit beschäftigt bin, klingelt mein Handy. Der Empfang ist schlecht. Aber ich verstehe, dass da jemand dran ist, der meinen Geldbeutel gefunden hat. Die Verbindung wird unterbrochen, der Anrufer versucht es erneut und ich bekomme mit, wie er zu einer Kirche geht, dort mit jemandem spricht, dem er dann sein Handy überlässt, damit der mir erklären kann, wo ich meinen Geldbeutel abholen kann. Das Ganze wirkt auf mich etwas rätselhaft, aber die Polizisten raten mir, dorthin zu gehen und das mit der Anzeige zunächst einmal sein zu lassen. Also gehe ich zu Fuß nach Hause, ich habe ja kein Geld und keine Fahrkarten mehr, hole mir eine Fahrkarte und fahre zur angegebenen Adresse. Ich muss etwas suchen, finde aber dann die Kirche und das Pfarrbüro und bekomme tatsächlich meinen Geldbeutel. Die € 45.- Bargeld fehlen, aber alle Karten (Bank, Ausweis, Krankenkasse, Führersein etc.) sind da. Später telefoniere ich mit dem Finder, dem ich etwas geben möchte. Er lehnt ab: „das müsste doch für jede und jeden selbstverständlich sein!“. In der U-Bahn sah er meinen Geldbeutel liegen und nachdem er offensichtlich keinem der Fahrgäste gehörte, nahm er ihn und bekam irgendwie meine Telefonnummer heraus. Als ich mit dem Geldbeutel zurückkehrte, hatte ich das Bedürfnis nach einer Dusche, nicht nur weil ich von den morgendlichen Wegen schweißgebadet war, sondern irgendwie auch als „Reinigung“ nach dieser Erfahrung…