Giovanni Merlini führte einen Interessenten an der Gemeinschaft der Missionare vom Kostbaren Blut zu seinem Zimmer im Missionshaus von Albano. (Nebenbei: das Gebäude von damals wurde gegen Ende des zweiten Weltkrieges von amerikanischen Streitkräften bombardiert, welche Italien von den Deutschen befreien wollten. Nach dem Krieg wurde ein neues, großes Haus errichtet). Im Stiegenhaus blieb Merlini vor einem Kreuz an der Wand stehen und verneigte sich. Der junge Interessent sagte ihm: „wer so etwas (wie dieses Kreuz) fabriziert, der gehört doch eingesperrt!“ Merlinis Antwort: „wenn derjenige es aber nicht besser gekonnt hat und es halt so gut als möglich gemacht hat?“ Wir wissen nicht, wie dieser Dialog weiter gegangen ist und was in Raffaele Marini, dem Interessenten vorgegangen sein mag, als er später erfuhr, dass sein Begleiter das Kreuz hergestellt hatte.
Für mich ist diese eine der schönsten Anekdoten aus dem Leben Merlinis, obwohl ich mich immer wieder frage, wie Raffaele Marini zu seinem Urteil gekommen sein mag. Denn jedes Mal, wenn ich einen Besuch in Albano mache und in dem kleinen Museum dort bin, fasziniert mich das Kreuz im Zentrum des Raumes. Es ist eines derer, die Merlini aus Pappmaché hergestellt hat und ich finde es höchst gelungen. Die Proportionen stimmen, es ist ausdrucksstark, es sieht fast wie geschnitzt aus. Das Besondere an diesem Kreuz: es ist „zusammenklappbar“. Also nicht nur die Kreuzesbalken, sondern auch der Corpus, die Arme des Gekreuzigten lassen sich zusammen legen und ließen sich ursprünglich einmal in eine Kiste packen, die zu den Volksmissionen mitgenommen wurde. Die Predigten während solcher Missionen fanden ja nicht immer in der Kirche, sondern manchmal auch unter freiem Himmel statt. Ein Podium bzw. eine Bühne wurde aufgebaut und darauf stellte sich der predigende Missionar, eben mit einem Kreuz bzw. unter dieses.
Das Geschehen der ersten Begegnung zwischen Merlini und Marini war jedoch kein Hindernis für die Aufnahme des letzteren als Laienbruder in die Gemeinschaft der Missionare vom Kostbaren Blut. Und tatsächlich wurde Marini ein enger Mitarbeiter Merlinis.
Denn Giovanni Merlini betätigte sich nicht nur als Bildhauer, sondern auch als Architekt von Kirchen und Missionshäusern, die zum Teil heute noch stehen. In diesem Bereich hatte offenbar der Analphabet Raffaele Marini einige Fähigkeiten und Merlini vertraute ihm die Durchführung bzw. Beaufsichtigung mancher Arbeit an.
Ein sympathisches Detail dieser geteilten Arbeit zweier Missionare, welches wiederum für die Qualität der Beziehung spricht ist die folgende Geschichte. Der Bischof von Spoleto bat Merlini um den Bau einer Marienkirche in der Nähe des Missionshaues von San Felice di Giano, unserem Gründungshaus. Merlini wollte zuerst nicht und meinte, das könnten andere besser, aber der Bischof ließ nicht locker. So willigte Merlini schließlich ein, wodurch natürlich andere Arbeiten liegen blieben. Der Laienbruder wies ihn darauf hin: „was kümmern Sie sich um die Gebäude anderer, anstatt um diejenigen unserer Gemeinschaft!“ Merlini habe, so Marini, ihm entgegnet: „ich habe mich ja nicht nach diesem Auftrag gedrängt, aber die Madonna selbst hat bestimmt, dass diese Kirche gebaut werden soll“.
Einer, der die von Merlini als Architekt betreuten Bauten untersucht hat, macht drei „Bauprinzipien“ dabei fest:
Die Funktionalität: die Zimmereinteilung etwa musste praktisch sein, den konkreten Bedürfnissen entsprechen.
Die Symmetrie: es ging um eine harmonische Zuordnung der einzelnen Teile
Die Sparsamkeit: da wurden etwa die billigeren quadratischen Fenster gegenüber denjenigen mit geschwungenen Bögen bevorzugt.
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