Mittwoch, 31. Mai 2023

Herz Jesu und Sportschuhe

                                       

Wieder ein Foto. Im Mai – klassisch „der Marienmonat“ - ein Marienbild und jetzt für den Juni – „Herz-Jesu-Monat“ – das Foto einer Herz-Jesu-Statute. Anfang des vergangenen Dezembers habe ich sie in Putignano in Apulien fotografiert, wo wir bei den Mitbrüdern zu Besuch waren – weil mir dieses „Stillleben der besonderen Art“ einfach gefiel. Offensichtlich hatte einer der jüngeren Mitbrüder dort seine Turnschuhe gewaschen und zum Trocknen in die Sonne gestellt – unter den Schutz des Herzens Jesu sozusagen. Bevor mir jetzt jemand blasphemische Gedanken unterstellt: das Fotomotiv, welches mich zunächst schmunzeln ließ, brachte mich im zweiten Schritt tatsächlich zum ernsthaften Nachdenken.

Das hängt wohl auch mit für mich unvergesslichen Exerzitien vor inzwischen 25 Jahren zusammen, bei denen P. Andreas Falkner SJ eines Tages über die Szene der Fußwaschung „laut nachdachte“. Tatsächlich fühlte ich mich dem Geschehen ganz nahe, als Pater Falkner etwa Folgendes sagte: „Jesus hat die Füße seiner Jünger in seine Hände genommen. Er wird sie sich genau angeschaut haben, die Füße derer, die er ja später ausgesandt hat, als seine Boten in alle Welt. Es braucht ein gutes Fußwerk, wenn man viel unterwegs ist“. Ich erinnere mich auch noch daran, wie Falkner davon erzählte, während seiner Zeit als Rektor der Jesuitenresidenz in Innsbruck die Pediküre bei einem älteren Mitbruder ausgeübt zu haben.

Vielleicht ist das also gar kein schlechter Platz für die Laufschuhe des Missionars, vor dem Herzen Jesu. Respekt vor den Füßen! Haben sie es nicht verdient, nach einem langen Wandertag etwa mit Hirschtalg behandelt zu werden? Auch damit verbinde ich eine Erinnerung. Ein Ehepaar erzählte, wie genau das zu seiner Abendroutine auf dem gemeinsam gegangenen Jakobsweg gehörte, sich am Abend eines Tages gegenseitig die Füße zu massieren und mit Hirschtalg zu salben.

Zwei Monate vor dem Besuch in Putignano, bei dem obiges Foto entstand, waren wir zu Besuch bei unseren Mitbrüdern in Polen, im Oktober also. In diesen Monat fällt das Fest unseres Ordensgründers Gaspare del Bufalo, das wir gleich an mehreren Orten begingen. Für den Gedenktag ist als Lesung ein Text aus dem Buch des Propheten Jesaja ausgewählt (52,7-10). Auf Deutsch beginnt das so: „Wie willkommen sind auf den Bergen / die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, / der eine frohe Botschaft bringt und Heil verheißt…“ Und wo es im Deutschen „Schritte“ heißt, da verwendet das Italienische „piedi“ – Füße. „Wir schön sind auf den Bergen die Füße des Boten…“ P. Emanuele, Italiener, begann seine Predigt in einer kleinen Kirche in Schlesien auf Englisch auch mit den „piedi“-Füßen-„feet“. Und die Übersetzerin, die ihn vom Englischen ins Polnische übersetzte, konnte wohl mit den so banalen Füßen nichts anfangen und machte aus „feet“-Füße „faith“-Glaube. Natürlich musste sie anschließend etwas improvisieren. Ich saß schmunzelnd und dann auch wieder nachdenklich in der Kirche. So geht das, wenn wir dem scheinbar Banalen nicht genug Aufmerksamkeit schenken und es würdigen.

Ein guter Platz für die Sportschuhe, vor dem Herzen Jesu!

 

 

 

Montag, 15. Mai 2023

Maria blickt aufs Buch

Vor kurzem musste ich im Dikasterium für die Institute des gottgeweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens (DIVCSVA) länger als gewöhnlich warten. Dabei schweifte mein Blick umher und mir fiel ein Gemälde auf, das sicher schon länger dort hängt, aber das ich bisher eben nicht wahrgenommen hatte. 


Und ich musste schmunzeln… Welch eine „moderne Mutter“, diese Maria. Also natürlich auch wieder nicht ganz so modern. Maria liest ein Buch und widmet diesem mehr Aufmerksamkeit als dem Kind, welches auf ihrem Schoß sitzt und dessen Händchen sich um ihren Hals legen. Mich ließ dieser Blick Mariens auf das Buch und nicht auf das Kind an so manche Szene der Gegenwart denken. Immer wieder erlebe ich Frauen und auch Männer, mit einer Hand einen Kinderwagen schiebend, dabei aber den Blick auf das Handy gerichtet, das sie in der anderen Hand halten. Oder da gibt es einen kleinen Spielplatz bei uns in der Nähe. Auch dort beobachte ich, wie Kinder auf der Schaukel sitzen und eine Mutter oder ein Vater auf einer Bank am Rand, den Blick auf das Handy gerichtet. Manchmal meldet sich ein Kind dann lautstark, so dass der Blick von Mama oder Papa sich kurzzeitig auf es richtet, bevor er wieder dem Handy gilt.

Worauf richtet sich mein Blick, wem gilt meine Aufmerksamkeit? So frage ich mich, der natürlich als Kinderloser nur bedingt „mitreden“ kann, was die oben beschriebenen Situationen angeht. Aber die Frage lässt sich ja ausweiten. Was hält meinen Blick gefangen, worum kreisen meine Gedanken?

Was Maria angeht, die auf dem Gemälde dargestellte Mutter, erinnere ich mich an eine andere Begebenheit. Ein Mitbruder fragte bei der Predigt im Rahmen einer Volksmission die versammelte Gemeinde: „was meinen Sie denn, was Maria in dem Moment gemacht hat, als der Engel bei ihr anklopfte und ihr verkündete, dass sie ein Kind empfangen und Mutter Gottes werden würde? Maria wird sich doch nicht mit Putzen oder anderen Hausarbeiten beschäftigt haben, sie war in diesem Moment ganz sicher im Gebet vertieft“. Die Ausführungen meines Mitbruders müssen wohl bei einigen der anwesenden Frauen Stirnrunzeln – um es einmal so höflich zu sagen – ausgelöst haben. Das schien ihnen doch etwas abgehoben und weltfremd, was der gute Pater da zum Besten gab.

Mir persönlich gefällt es, dass es in Nazareth zwei Stellen gibt, die mit der Verkündigung an Maria in Verbindung gebracht werden. Zum einen ihr Wohnhaus, dort steht heute die Verkündigungsbasilika, zum anderen aber ein Brunnen. Zu dem das Mädchen angeblich unterwegs war, um Wasser zu holen, als ihr der Engel begegnete.

Auch in der Malerei wird die Szene ja ganz unterschiedlich dargestellt: es gibt die ein Buch, natürlich die Bibel, lesende Maria, bei der der Engel eintritt. Es gibt aber auch die handarbeitende Maria, mit Strickzeug in der Hand oder am Spinnrad sitzend. Klar, auch für Maria gelten die oben gestellten Fragen: worauf richtet sich der Blick, wem oder was gilt die Aufmerksamkeit?

Seit Jahren begleitet mich ein Zitat von Simone Weil: „Das Gebet ist nichts anderes als die Aufmerksamkeit in ihrer reinsten Form“. Sie selbst hat diese Aufmerksamkeit richtiggehend trainiert, teilweise auch in Verbindung mit dem Gebet (des Vaterunser etwa). Ein anderes Zitat von ihr lautet: „Das Wesen des Gebets besteht in der Aufmerksamkeit…“

Und ganz am Schluss überlege ich mir, ob das Gemälde auch eine Botschaft enthalten könnte für diejenigen, die da im Dikasterium arbeiten: worauf richtet sich der Blick? Auf das Kirchenrecht und andere Regelwerke, oder – ohne das gegeneinander ausspielen zu wollen - auf die Personen, die da kommen?