Donnerstag, 30. November 2023

Inkulturation

Von draußen dringen Marimbaklänge. Es sind zwei besondere Tage hier in der Pfarrei in Tucuru in Guatemala. So Gott will, werde ich in einer Woche in Rom zurück sein. Und ich bin am Sortieren von Eindrücken, es waren so viele in den vergangenen Wochen.

Als ich in Kolumbien landete und mich der Zollbeamte am Flughafen in Bogota fragte: „woher kommen Sie?“, musste ich einen Moment überlegen. „Was sage ich denn? Wo bin ich denn zuletzt in ein Flugzeug gestiegen?“. Bis es mir einfiel: „Santiago, Chile“.

Die letzten Tage jetzt in Guatemala, zunächst in der Hauptstadt und jetzt in der Region Alta Verapaz, wo von den hier lebenden Nachkommen der Maya hauptsächlich Kekchi gesprochen wird. Wenigstens zwei der Mitbrüder erzählten mir von jeweils einem leiblichen Bruder, der sich auf illegalem Weg in die USA aufgemacht hatte. Bei einem schien das besser geklappt zu haben, der andere bekam einen Anruf von den „coyotes“ genannten Schleppern, die Geld von ihm forderten. Die Familie legte zusammen und lieh aus – im Vertrauen auf das Wort des Priester-Bruders. Solch eine Erfahrung hinterlässt Spuren.

Von unserer jungen lateinamerikanischen Provinz hatte ich bereits erzählt. Ein faszinierendes Projekt, jedoch durchaus noch mit Startschwierigkeiten. Z.B. machen die neuen Standards für die Aufnahme von Kandidaten Probleme. Konkret ist der geforderte psychologische Test für jemanden, dessen Muttersprache Kekchi ist und der kaum Spanisch spricht, eine eher unüberwindliche Hürde. Auch der Stil des Einkaufens verändert sich, durchaus mühsam. Die Provinz verlangt (ja völlig zu Recht!) eine korrekte Buchhaltung mit Belegen. In einem Land, in dem normalerweise auf dem Markt eingekauft und mit Bargeld bezahlt wird, ist das mit den Belegen so eine Sache.

Ein Erlebnis sind für mich die Liturgiefeiern hier in La Tinta und Tucuru. Ein Mitbruder, der leider später unsere Gemeinschaft verlassen hat, versuchte vor Jahren, Elemente der Maya-Tradition in die römisch-katholische Eucharistiefeier einzubauen, bzw. diese Traditionen zu verbinden. Wenn also zu Beginn der Eucharistiefeier 30 Frauen (!) mit Weihrauchfässern in die Kirche einziehen und von links und rechts den Altar umschreiten und beräuchern, um den Ort der Feier zunächst zu reinigen, dann ist das beeindruckend. Und all jenen, die jeweils in Europa über zu viel Weihrauch geklagt haben, kann ich versichern, dass das im Gegensatz zu hier harmlos war.

Eine wichtige Rolle spielen die Ältesten, welche das Fürbittgebet und ein Dankgebet nach der Kommunion leiten. So wie ich es erlebte, fängt dabei der Älteste an und alle stimmen ein, jeder mit seinem eigenen Gebet. Für mich Fremden äußerlich ein heilloses Durcheinander. Aber gleichzeitig auch bedenkenswert.

Scheinbar wird aber nicht in allen Kekchi-Gemeinden auf diese Weise Eucharistie gefeiert, woanders geht es „römischer“ zu.

Zur Gemeinde in La Tinta gehören 75, zu der in Tucuru 55 Kapellengemeinden, die teilweise recht groß sind. In zwei solcher Gemeinden habe ich die Messe mitgefeiert. Und das Fest erlebt. Die Vorbereitungen beginnen bereits am Vortag. Und nach der Messe wird gemeinsam gegessen. Einer der Mitbrüder meinte: „dass ich da dabei bin, scheint den Leuten fast wichtiger als die Messe selbst“.

Zur weitest entfernten Kapelle sind es von Tucuru aus zunächst zwei Stunden mit dem Auto und dann anderthalb Stunden zu Fuß. Wenn man also Weg, Messe und anschließendes Essen zusammenrechnet, wird klar, dass es sich dabei um eine Tagesveranstaltung handelt.

Zum „Pfarrgemeinderat“ in Tucuru gehören mehr als 100 Leute, ein Vertreter jeder Kapellengemeinde, gemeinsam mit seinem Vertreter, dazu noch weitere Leute für spezielle Bereiche (Liturgie, Sozialpastoral, Mission etc.)  

 

Mittwoch, 15. November 2023

Brasilien

Vor kurzem wurde in den Medien darüber berichtet, dass unter der Regierung Lula in Brasiliens Amazonasregion weniger abgeholzt wird als unter der Vorgängerregierung Bolsonaro. Natürlich kann ich nach knapp zwei Wochen in dieser Region dazu nicht qualifiziert Stellung nehmen. Aber ein paar Eindrücke will ich teilen.

Unsere erste Station war Manaus, wo uns die ASC-Schwestern Gastfreundschaft gewährten. Was durchaus angenehmer war, als viele Stunden am Flughafen auf die Weiterreise zu warten. Wir hatten sogar ein wenig Zeit für die Stadt Manaus und sahen mit eigenen Augen den erschreckend niedrigen Wasserpegel des Rio Negro. Der (deutschstämmige) Kardinal Steiner von Manaus wies vor kurzem auf die beängstigende Trockenheit und ihre Folgen hin. Auch die Schwestern sagten uns, dass es normalerweise um diese Jahreszeit Regen gäbe, dieses Jahr aber nicht.

Von Manaus ging es über Belem weiter nach Altamira. Die Route Belem - Altamira wird von einer einzigen Fluggesellschaft, Azul, bedient, die aufgrund fehlender Konkurrenz im Festlegen der Flugpreise ziemlich frei ist. Grundsätzlich gilt wie woanders: je früher gebucht, umso günstiger ist der einstündige Flug. Alternative wäre der Bus (16 Stunden) oder das Boot (drei Tage). Die Flüsse hier sind wirklich „Wasserstraßen“ und auch in diesem Zusammenhang wirken sinkende Wasserstände bedrohlich.

In Altamira roch es jeweils am Morgen nach Rauch – es wird abgeholzt, abgebrannt, im Kleinen und im Großen. Bischof Erwin Kräutler, vor kurzem nach zwei Jahren in Österreich endlich nach Altamira zurückgekehrt, schob seinen tiefsitzenden Husten auf den Rauch. Jemand meinte, er wäre schon mit diesem Husten aus Europa zurückgekommen, vielleicht aufgrund der allzu gut wirkenden Klimatisierung in den Flugzeugen. Kurz nach unserem Besuch wurde Lungenentzündung bei ihm diagnostiziert.

Bischof Érwin hatte ich in meinem Einführungsjahr (Probandat) in die Gemeinschaft der Missionare vom Kostbaren Blut kennengelernt. Er war auf Heimatbesuch und wir Probandi führten ein langes Interview mit ihm. Sein Onkel Erich, der ebenfalls Bischof in Altamira gewesen war, lebte damals mit uns im liechtensteinischen Schellenberg.

Im Keller dieses Hauses gab es damals einen „Xingu-Raum“ benannten Saal. An einer Wand dieses Saales war eine lange Schlangenhaut angebracht, die ein Brasilien-Missionar mitgebracht hatte. Und jetzt konnte ich in Altamira am Xingu Morgenspaziergänge unternehmen. Bereits als Jugendlicher hatte ich ja beim Sternsingen mitgemacht und dabei für die Xingu-Mission gesammelt.

Wir kamen am 1. November in Altamira an, so dass wir an Allerseelen beim Grab der auf dem dortigen Friedhof bestatteten Mitbrüder beten konnten. Auch die Gräber der Missionare auf dem Friedhof in Belem bzw. in der Kirche von Marituba (P: Markus Schawalder) besuchten wir.  

Wie oft hatte ich von der Casa Divina Providenza gehört bzw. Fotos gesehen. Während unseres Aufenthaltes in Altamira waren wir in diesem von Sr. Serafina Cinque ASC gegründeten Haus. Sie hatte damals auf eine konkrete Not geantwortet und mit diesem Haus schwangeren Frauen eine Unterkunftsmöglichkeit angeboten, die zur Entbindung nach Altamira in die Stadt kamen. Viele Jahre später ist die Gesundheitsversorgung auch auf dem Land besser geworden und der Bedarf geringer. Aber immer noch bietet das Haus Frauen und Männern vom Land, die zu einer medizinischen Behandlung nach Altamira kommen, eine Bleibe. Und für Sr. Serafina ist ein Seligsprechungsprozess eröffnet, an ihrem Grab in der Nähe der Casa Divina Providenza beten immer wieder Menschen.

Auch die Pfarrei Unsere liebe Frau von der immerwährenden Hilfe der Missionare vom Kostbaren Blut in Altamira hat ein Haus mit derselben Zielsetzung, dem wir einen Besuch abstatteten.

Sehr beeindruckt bin ich von den Liturgiefeiern, die wir während unseres Aufenthaltes erlebten: sie zeichneten sich durch die Mitwirkung vieler Laiendienste und eine große Lebendigkeit aus.