Mittwoch, 30. September 2020

Frömmigkeiten

 Unsere Telefonanlage ist in die Jahre gekommen. Nach vielen Unterschriften unter Verträgen – ich habe das Kleingedruckte nicht gelesen, ich gebe es offen zu – sind die ersten Maßnahmen im Hinblick auf eine neue Anlage in Gang gekommen. Handwerker im Haus!

Zuerst kamen zwei junge Männer, so um die Mitte 20. Sympathische Kerle. Der eine musste noch einmal in die Zentrale zurück, um etwas zu holen oder einzustellen, so genau habe ich es nicht verstanden. Der andere arbeitete weiter bei uns im Haus – und schwitzte. So dass ich ihn fragte, ob er etwas trinken wolle. „Ein Glas Wasser, bitte!“ Freudestrahlend nahm er dieses entgegen und fragte mich, woher ich sei und was wir hier im Haus tun. Als ich ihm geantwortet hatte, erzählte er: „ich mache nächstens eine Wallfahrt nach Cascia“. Etwas verdutzt schaute ich ihn an und er erzählte mit Begeisterung von der tollen Jugendarbeit des Neokatechumenats in seiner Pfarrei. „Wir sind 200 junge Leute!“.

Nach dieser ersten Maßnahme im Hinblick auf eine neue Telefonanlage kamen Wochen später zwei andere Männer, von einer anderen Firma. Der eine bemerkte gleich beim Hineinkommen ins Haus die Kapelle und fragte nach. Und erzählte dann voller Stolz: „ich gehöre zu einem Chor, der für den Papst gesungen hat, als dieser in Albano war“. Als er am nächsten Tag wieder ins Haus kam, grüßte er mit „Gelobt sei Jesus Christus“. Jetzt fragte ich nach. Der Mann stammt aus Rumänien und lebt seit 17 Jahren in Italien. In seiner Heimat hat er noch die Ceausescu- Zeit erlebt. Sein Vater hatte einen Antrag gestellt, dass im Privathaus die Messe gefeiert werden durfte. „Ohne diesen wärst du erschossen worden“, sagt der Telekom-Mitarbeiter. Und er war damals Ministrant und hat sich auch ein wenig auf einer kleinen Orgel versucht.

Noch einmal kommt er ins Haus, es ist Montag. Und auf seinem Smartphone zeigt er mir Fotos von der Feier des Festes Kreuzerhöhung in seiner Heimat. Vom „weltlichen Teil“: die Menschen sitzen an Tischen, auf den viele Getränkeflaschen stehen. Irgendwo ist der Pfarrer unter den Leuten zu sehen. Und natürlich die Verwandten, Mutter, Schwestern, Neffen unseres Telefonleitungsmonteurs.

„Eigentlich ist ja heute das Fest, aber zu Hause haben sie es am Sonntag vorgefeiert“, erklärt er mir.

„Und Sie, sind Sie auch in der Kirche gewesen, gestern am Sonntag?“. „Nein“, grinst er mich an: „ich war beim Angeln“. „Er hat wenigstens nicht gelogen“, sagt Sr. Elisabeth nachher.

Apropos Sr. Elisabeth: sie war gerade im Urlaub zu Hause, in der Gegend von Białystok in Polen. Und etwas, wovon sie mit sichtbarem Ärger erzählte, war, dass von den Kommunionkindern in ihrer Heimatpfarrei ein paar kurz nach der Erstkommunion nicht mehr zu sehen waren bei der Katechese, die dort nach der Erstkommunion weiter geht. Sr. Elisabeth hat das unmittelbar mit bekommen, weil auch in ihrer Heimat aufgrund der Corona-Pandemie die Erstkommunion vom Frühjahr in den Spätsommer verschoben worden war.

Einblicke in Glaubens- und Kirchenleben in Italien, Rumänien, Polen...

Natürlich habe ich mich gehütet, Sr. Elisabeth zu sagen, dass die jungen Leute vielleicht ein Gespür haben für das, was stimmt. Wir merken, dass gewohnheitsmäßige Riten nicht mehr tragen – so hilfreich sie vielleicht auch einmal gewesen sein mögen. Die Vorschläge zum konkreten Umgang mit der Situation sind ganz verschieden – teilweise lässt sich daran das „kirchenpolitische Lager“ erkennen, aus dem jemand kommt.

Ich plädiere zunächst einmal für ein genaues Hinschauen und ein liebevolles Wahrnehmen der Menschen und ihrer Lebenssituation. Denn da ist ja eine Suche da, gerade in unseren Corona-Zeiten...

Und inzwischen wird draußen der Asphalt aufgerissen: wir sollen ans Glasfasernetz angeschlossen werden, damit wir noch schneller telefonieren bzw. im Internet surfen können...


Dienstag, 15. September 2020

Fest ausgerichteter Blick

 Da ich mir sicher war, in irgend einem Bücherregal eine italienische Bibel zu finden, bin ich ohne gedruckte Bibel nach Rom umgezogen. Schließlich gibt es ja immer noch die Möglichkeit, online zu lesen.

Tatsächlich fand ich keine italienische Bibel im Regal, dafür aber eine englischsprachige Ausgabe der Jerusalemer Bibel. Also habe ich dort zu lesen angefangen. Wobei die Anmerkungen so klein gedruckt sind, dass ich tatsächlich die € 1,50 - Lesebrille aufgesetzt habe, die ich „für den Notfall“ eingepackt hatte.

Nachdem ich auf diese Weise jeden Tag ein Kapitel der Apostelgeschichte gelesen hatte, wollte ich diese jetzt aber auch auf Italienisch lesen. Und beginne deswegen meinen Arbeitstag am Computer damit, ein Kapitel Apostelgeschichte auf der Homepage der italienischen Bischofskonferenz zu lesen.

Die Empfehlung, die Bibel auch einmal in einer anderen Übersetzung zu lesen, wird ja hin und wieder ausgesprochen, schon verschiedene deutsche Übersetzungen können zum Nachdenken anregen. Apropos: in dem Haus, in dem ich jetzt lebe, ist vor Jahren und über Jahre hinweg eine deutsche Alternativ-Übersetzung entstanden. Der bayrische Priester Albert Kammermayer wohnte viele Jahre hier im Haus und war mit seiner Übersetzung des Neuen Testaments beschäftigt, Untertitel: „Eine Übersetzung, die unsere Sprache spricht“. Das Buch ist auch im Buchhandel erhältlich!

An einer Entdeckung möchte ich Dich/Sie teilhaben lassen. Es geht um das Schauen, den „ausgerichteten Blick“. Da ist die Stelle von der Steinigung des Stephanus in der Apostelgeschichte, wo es heißt: „Er aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen und rief: Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen“ (Apg 7,55f.). Auf italienisch wird das „blickte zum Himmel empor“ mit „fissando gli occhi al cielo“ wieder gegeben. An einem Mittwoch Abend hörten wir dann als Lesung in der Vesper eine Stelle aus dem Jakobusbrief: „Chi fissa lo sguardo sulla legge perfetta“, auf deutsch: „Wer sich aber in das vollkommene Gesetz der Freiheit vertieft“ (Jak 1,25). Mir kam dann noch eine andere Stelle in den Sinn, die mich seit Jahren begleitet: „tenendo fisso lo sguardo su Gesù“, aus dem Hebräerbrief, auf Deutsch: „...auf Jesus blicken“ (Hebr 12,2). Es geht also jeweils um ein „fixiertes“ Schauen, um einen fest ausgerichteten Blick! Und ich frage mich nach meinem Schauen und seiner Richtung. In den öffentlichen Verkehrsmitteln nehme ich viele Menschen mit „fixiertem Blick“ war: mit dem Blick auf das kleine Gerät in ihrer Hand. Wonach halten wir Ausschau, wohin ist der Blick gerichtet?

Ein Bibelwissenschaftler würde jetzt jeweils noch den griechischen Originaltext daneben legen. Ich habe das versucht – die Homepage der italienischen Bischofskonferenz bietet auch diese Möglichkeit, stelle aber fest, dass meine Griechisch-Kenntnisse mangelhaft sind. Wenn ich recht gesehen habe, stehen da an den drei Stellen verschiedene Wörter. Dasjenige, welches in der Apostelgeschichte verwendet wird kommt von ἀτενίζω (atenizō), welches mit „fest ausgerichtet schauen“ übersetzt werden kann und wozu es noch andere Stellen im Neuen Testament gibt. Z.B. bei Jesu Predigt in der Synagoge von Nazareth: „Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet“ (Lk 4,20).

Mir gefällt es, die oben erwähnten Texte aus dem Jakobus- und dem Hebräerbrief zusammen zu lesen. Dann ist derjenige, der „fest auf Jesus blickt“ gleichzeitig derjenige, der „sich in das vollkommene Gesetz der Freiheit vertieft“. Toll, oder?

Tatsächlich ist Jesus der ganz freie Mensch, wie es sich bei ihm in jeder Lebenslage zeigt. Und von ihm ist das zu lernen, abzuschauen – den Blick fest auf ihn gerichtet.