Sonntag, 30. Juni 2024

Licht und Dunkel

Manchmal spüre ich etwas wie „Zerrissenheit“ in meiner Aufgabe hier in Rom. Als Mitglied der Generalleitung meiner Ordensgemeinschaft bekomme ich allerhand von Mitbrüdern aus verschiedenen Teilen der Welt mit und habe teilweise „in der Bearbeitung“ konkret damit zu tun. Sei es ein Missbrauchsvorwurf gegenüber einem Mitbruder, oder ein anderer, der seinen Dienst in der Pastoral scheinbar dazu benutzt, sich zu bereichern. Dieser Tage nun lese ich von einem Ordensmann einer anderen Gemeinschaft, den ich ein wenig kenne, dass er verhaftet wurde, weil er wohl Drogen ins Gefängnis hineingeschmuggelt hat. Und ich frage mich: „wie ist das möglich? Warum?“ Ich erinnere mich an ein Buch von Enzo Bianchi mit dem Titel „Wir sind nicht besser“ Untertitel: „Das Ordensleben in der Kirche und inmitten der Menschen“. Viele Situationen tun weh. Es geht nicht ums Dramatisieren, aber natürlich um das entschiedene Hin- und eben nicht Wegschauen. Das ist die eine Seite dessen, was mich umtreibt und bewegt.

Und dann begegne ich in Rom den Heiligen. Den schon bekannten, etwa meinem Namenspatron und dem Gründer meiner Ordensgemeinschaft, die beide in Rom begraben sind. Immer wieder lerne ich auch neue Heilige kennen, wenn ich z.B. eine Kirche betrete und an einem Seitenaltar das Grab einer solchen Gestalt bemerke. Und dann gibt es Mitmenschen, die etwas von Heiligkeit ausstrahlen. Sr. Maria Vicuna etwa, von den Schwestern Mutter Teresas, beeindruckt mich immer wieder. Sie ist die Küchenchefin in dem Haus für Männer in schwierigen Lebenssituationen, in dem ich regelmäßig helfe. Diese junge Frau schafft es nicht nur, mittags ein gutes Mittagessen für rund 40 Menschen auf den Tisch zu bringen. Sie hat nicht nur die Töpfe und Backrohre im Blick, sondern auch die Freiwilligen, die zur Mitarbeit da sind. Sie weiß jeder und jedem die ihr oder ihm entsprechende Arbeit zuzuteilen und interessiert sich dabei für die einzelnen, ihre Familien etc. Und das mit einer Prise echten, köstlichen Humors…

Da sind also auf der einen Seite die schwierigen Situationen („zum Davonlaufen!“) und auf der anderen Seite die anziehende Heiligkeit. Ich stehe dazwischen. Indem ich mir diese Situation bewusst mache, habe ich aber gleichzeitig den Eindruck, mich in gewisser Weise auch entscheiden zu können, wohin ich vor allem meinen Blick richte, auf welche Seite.

Sr. Klara Maria Breuer, welche die Texte der diesjährigen RENOVABIS-Pfingstnovene vorbereitet hat, erinnert an deren ersten Tag an die Aussage eines lutherischen Pfarrers ein Jahr nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine: „Als Christen sollten wir die Nachrichten nicht nur konsumieren, sondern kreieren.“ Vielleicht beginnt es ja schon bei der „Konsum-Auswahl“. Welche Nachrichten konsumiere ich?

Jede und jeder von uns erlebt vermutlich das Hin- und Hergerissen-Sein zwischen dem, was traurig und mutlos macht und dem, was uns Mut, Hoffnung und Kraft gibt. Ohne das Schwierige aus dem Blick (und oft aus dem Herzen) zu verlieren, möchte ich den Blick immer wieder auf das andere lenken. Wohl wissend, dass ja auch in mir beides da ist, Licht und Dunkel.

In der Hoffnung, hinter den „Kulissen des Dunklen“ irgendwann anderes, mehr, Funken des Lichts zu entdecken…

Samstag, 15. Juni 2024

Claritas

Nach vielen Jahren war ich Anfang dieses Monats wieder einmal dort, in Loppiano, einem kleinen Ort unweit von Florenz, malerisch gelegen auf den Hügeln der Toscana. Das „Grundgesetz“ der zwischen 700 und 800 Bewohner dieses Ortes ist das Evangelium. Besucher können einen Eindruck davon bekommen, wie das ist, wenn Menschen gemeinsam ihr Leben am Evangelium auszurichten versuchen.

Die Bevölkerung ist sehr international, jung und alt sind vertreten und auch verschiedene Lebensformen. Unter anderem befindet sich dort die CLARITAS, ein Spiritualitätszentrum für Ordensmänner. Dort wollte ich mich seinerzeit auf meine Priesterweihe vorbereiten und habe drei Monate verbracht. Eine für mein Leben und meinen Weg zweifelsohne entscheidende Zeit. Denn zunächst einmal geriet ich in eine Krise. Ich kam aus meinem Praktikum als Diakon in einer Pfarrei im oberbayerischen Traunstein (Heimat von Josef Ratzinger), wo mir große Sympathie entgegengebracht wurde. Ich hatte Erfolgserlebnisse in der Pastoral, die ersten Taufen, Menschen zeigten sich angetan von meinen Predigten. Und jetzt an der CLARITAS in Loppiano: ich hatte den Eindruck, ein „nobody“ geworden zu sein, keine Komplimente mehr, es gab ja auch keine Pastoral mehr in dem Sinn. Stattdessen ging ich fast täglich in einen Holz verarbeitenden Betrieb und schliff Holzteile ab, Grundlage für Kinderzimmerschmuck, moderne Schutzengelbilder und anderes. Irgendwie hatte ich mir das so nicht vorgestellt. Im April war es noch recht kalt und ich erkältete mich und hütete ein paar Tage das Bett, wobei an diesem Zustand wohl nicht nur die Temperaturen schuld waren. In dieser Phase der Niedergeschlagenheit fing ich an, mich neu zu orientieren: worum geht es mir? Um Lob und Ansehen, pastorale „Erfolge“? Ich hatte den Eindruck, eine bereits getroffene Entscheidung noch einmal erneuern zu müssen. Und nach einer gewissen Durststrecke gelang das dann auch, wobei ich das immer noch als Geschenk betrachte, das hatte nicht mit meiner „Willensstärke“ zu tun. Ab diesem Zeitpunkt genoss ich Loppiano und meinen Aufenthalt. Und hätte es wohl noch länger ausgehalten, wenn nicht die Priesterweihe angestanden wäre. Bis heute jedoch bin ich zutiefst dankbar für das, was ich wie eine Weichenstellung erlebt habe.

Anfang Juni also war ich wieder dort für ein Treffen mit anderen Ordensmännern und wir genossen die Gastfreundschaft der aktuellen Bewohner der Claritas, ein Italiener, zwei Philippinos und ein Belgier. Und – Phra Pittaya, ein buddhistischer Mönch aus Thailand, der ein Vierteljahr mit den katholischen Ordensmännern mit lebt. (https://www.loppiano.it/2024/05/31/phra-pittaya-si-puo-crescere-insieme-e-fiorire-insieme-qui-lho-sperimentato/ aufgerufen am 15.6.24) Ähnliches hatte es bereits in den 90er-Jahren schon einmal gegeben. Und es ist durchaus erstaunlich, wie das Zusammenleben von buddhistischen Mönchen und katholischen Ordensmännern funktioniert. Es gibt offensichtlich Verbindendes über die Konfessions- bzw. Religionsgrenzen hinweg.

P. Egidio, der italienische Franziskaner-Minorit erzählte, dass Phra Pittaya an jeder Gebetszeit und der Eucharistiefeier teilnähme. Obwohl er kein Italienisch kann. Phra Pittaya selbst erklärte, er achte sehr auf seinen Atem und nehme auf diese Weise die Gegenwart Gottes war. Er hat mich beeindruckt, dieser Mönch!

Nach unserer Abreise kamen weitere buddhistische Mönche zu einem Kurzbesuch an die CLARITAS nach Loppiano. Sie hatten an einer interreligiösen Begegnung in der Nähe Roms teilgenommen, inclusive Papstaudienz. Außer Hindus, Bahai und Sikh waren dort auch jüdische Rabbiner und muslimische Imame vertreten. Welch ein Zeichen in der Welt von heute!