Mittwoch, 15. Januar 2020

achtsam gehen

Normalerweise informiere ich mich über das Tagesgeschehen durch die Nachrichten im Radio. Und für das Lokale lese ich gerne die Zeitung. Hin und wieder sehe ich auch Nachrichtensendungen im Fernsehen. Und dort gab es neulich Bilder, die mir jetzt über Tage hinweg nachgehen.

Bilder aus Teheran, wo viele Menschen gegen das Regime protestieren, welches den (versehentlichen) Abschuss eines Flugzeugs erst Tage später eingestand. Auf den Bildern, die mir haften geblieben sind, ist zu sehen, wie die Protestierenden nicht über zwei auf den Boden gemalte Flaggen, die der USA und Israels, marschieren, sondern außen, an den Rändern vorbei. Und ein paar einzelne, die sich nichts dabei zu denken scheinen und über die Flaggen gehen, werden von denen, die sich am Rand bewegen, ausgebuht.

Beim Sehen dieser Bilder regten sich in mir Freude und Dankbarkeit. Das ist so etwas anderes als das Verbrennen der Fahnen, welches auch hin und wieder zu sehen ist. Menschen drücken ihren Hass aus, indem sie die Flaggen eines anderen Landes in Brand stecken, manchmal auch das Konterfei eines Politikers eben dieses Landes.
Und jetzt: obwohl es eng ist, gehen die vielen Menschen am Rand der auf den Boden gemalten Flaggen vorbei. Ich empfinde das als Ausdruck von Respekt gegenüber der anderen Nation. Bzw. lassen sich die Menschen nicht instrumentalisieren, indem sie mitten auf dem Weg, aber eben über die gemalten Flaggen hinweg, gehen.

Bei aller Freude über diese kollektive Achtsamkeit habe ich gefragt, wie achtsam ich gehe bzw. umgehe mit dem/den anderen? Es geht ja nicht nur um das Betreten einer gemalten Flagge. Und es passiert nicht nur bei „cross-culture-Begegnungen“, das ich in Gefahr bin, in Fettnäpfchen zu treten.

„Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden“ (Ex 3,5). Das ist nicht nur die Aufforderung, die Mose hört, als er sich dem brennenden Dornbusch in der Wüste nähert. Darum geht es auch in der Begegnung mit anderen Menschen.

Ende des vergangenen Jahres verlegte Günter Demnig in Memmingen den 75000. Stolperstein, der an dort lebende Menschen jüdischen Glaubens erinnern soll, konkret an die Familie Rosenbaum. In mehreren Ländern Europas sind diese jetzt 75000 Stolpersteine zu finden.
An verschiedenen Orten bin ich bereits solchen Stolpersteinen begegnet und habe mich von ihnen berühren lassen. Nie bin ich darauf getreten. Wobei ich Verständnis dafür habe, dass sich die Stadt München anders entschieden hat. Und Erinnerungsplaketten lieber auf Augenhöhen anbringt, um das Betreten eines Steins, der an einen Menschen erinnert, der ja in seinem Leben schon „getreten“ wurde, zu verhindern.

Wie schön ist es, wenn mich jemand einlädt, sein Haus, seine Welt zu betreten und ich dort Gast sein darf. Mit Behutsamkeit und gleichsam wie auf Zehenspitzen versuche ich, mich aufmerksam in dieser Welt zu bewegen, wahrzunehmen, zu lernen. Immer in der Gefahr, fälschlich die Maßstäbe meiner Welt anzulegen.

Und die Bilder aus Teheran gehen mir nach und bewegen mich weiter...

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