Donnerstag, 15. September 2016

Der "Unter-Wallfahrtsort"

Im Wallfahrtsort Maria Baumgärtle gibt es einen neuen Wallfahrtsort, sozusagen einen „Unter-Wallfahrtsort“. Aber einen nicht wenig besuchten!

Es fing damit an, dass die örtliche Zeitungsausträgerin diesen ihren Dienst aufgab und sich offensichtlich niemand fand, um diese Aufgabe zu übernehmen.
Also musste die „Mindelheimer Zeitung“ nach einer Lösung suchen, damit ihre Abonnenten weiterhin ihren Qualitätsjournalismus genießen können.
Diese Lösung besteht nun in einer recht unansehnlichen Holzkiste, die zentral in Maria Baumgärtle steht, und in die zu nächtlicher Stunde ein Packen Zeitungen gelegt wird. Die Abonnenten können sich dann – im Normalfall wohl zu nicht mehr ganz so nächtlicher Stunde - ihr Exemplar aus der Kiste holen. Was übrigens gar kein ungefährliches Unterfangen ist, wie ich aus eigener Erfahrung bezeugen kann.
Denn für uns übt im Normalfall Br. Anton, der Mesner, den Zeitungs-Beschaffungs-Dienst aus, da er das gut mit dem morgendlichen Aufsperren der Wallfahrtskirche verbinden kann. Als Br. Anton durch eine Operation und die anschließende Rekonvaleszenz eine ganze Zeit lang außer Gefecht war, brauchten wir einen Vertreter. Und Br. Michael öffnete zwar die Kirche, meinte aber stur, dass gefälligst jemand von den Zeitungslesern sich um die Zeitung kümmern solle – er selbst schaut kaum einmal hinein. Also übernahm ich den Dienst. Und an einem Regentag, den aufgespannten Schirm in der einen Hand, versuchte ich mit der anderen den Deckel der Holzkiste zu öffnen und eine Zeitung heraus zu ziehen. Leider ist an der Unterseite des Deckels ein Metallstück angebracht, das mir die Haut der Hand aufriss, so dass ich blutend die Zeitung zum Haus trug, darauf achtend, die Zeitung nicht blutverschmiert den anderen Zeitungslesern im Hause zu präsentieren.

Diese Zeitungsholzkiste erlebe ich tatsächlich als eine Art „säkularen Wallfahrtsort“ am Wallfahrtsort. Denn von meinem Zimmerfenster aus habe die Kiste im Blick. Und sehe immer wieder morgens Menschen dorthin gehen oder mit dem Fahrrad oder Auto fahren, um sich ihr Zeitungsexemplar abzuholen. Nicht wenige dieser Menschen schauen sich dann gleich die Schlagzeilen auf der ersten Seite an oder blättern an Ort und Stelle, neben der Holzkiste, schon einmal die Zeitung auf. Wenn es nicht regnet – versteht sich!

Für viele Menschen ist das allmorgendliche Zeitung-Lesen ein fast heiliges Ritual, dem in Maria Baumgärtle nun noch das Ritual des Zeitung-Holens vorgeschaltet wird. Wenig später kommen dann andere oder zum Teil dieselben Menschen zur Frühmesse in die Hauskapelle oder Wallfahrtskirche. So vergleiche ich diese Wege zur Zeitungskiste und zur Wallfahrtskirche und die verschiedenen „Informationen“, die dort jeweils zu bekommen sind, den Qualitätsjournalismus der Mindelheimer Zeitung (die zur Augsburger Allgemeinen gehört) und die liturgischen Texte.

Und in diesem Zusammenhang frage ich mich auch, was meinen Blick auf die Welt prägt. Ich lese ja leidenschaftlich gerne die Zeitung. Momentan fange ich noch vorne an, nicht hinten bei den Todesanzeigen, wie es nach meiner Kenntnis viele tun. Auch ich lese die Zeitung gerne morgens, nämlich dann, wenn ich erst abends die heilige Messe feiere, um dann gemeinsam mit den Mitbrüdern frühstücken zu können. Wobei ich dankbar bin, den Tag mit der halbstündigen Meditation begonnen zu haben. Und mich auf dieser Grundlage dem mehr oder weniger Wichtigen und Berichtenswerten aus aller Welt widmen zu können. Die Zeitungslektüre kann auf diese Weise wie zu einer Verlängerung des Morgengebets werden...

Wenn ich morgens nach der Meditation gleich zur Messe gehe, dann hoffe ich, die Zeitung mittags zu finden, was bei mehreren Zeitungsnutzern und verschiedener Disziplin im Zurücklegen des aktuellen Exemplars an Ort und Stelle nicht immer sicher ist. Ein Lob auf die Druckerschwärze!

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