Anlässlich eines ihm in Rom vor einem Monat verliehenen Preises hielt der deutsche Regisseur Wim Wenders eine Rede, in der er vor allem der Bedeutung von Wörtern auf den Grund zu gehen scheint. „Moving pictures“ – was steckt hinter bzw. in „moving“, was in „pictures”? Er greift dazu auf das Lateinische, woanders auch auf das Griechische zurück. Mir gefällt seine Rede ähnlich wie die beiden Filme, die ich von ihm kenne: „Papst Franziskus – ein Mann seines Wortes“ und „Perfect days“. Diesen Filmen gingen andere voraus, die sehr bekannt wurden. Genau hinsehen: was der Regisseur in seiner Rede tut, das zeichnet auch sein filmisches Schaffen aus.
Zu unserem Fest am 1. Juli (Hochfest des Kostbaren Blutes Jesu Christi) hatten wir Gäste im Haus. Mit zweien davon stand ich in unserem Hauseingang vor einem Holzrelief, welches P. Emanuele vor zwei Jahren aus Tansania mitgebracht hat. Wir haben das Relief, eine Weihnachts- bzw. Krippenszene, „vorübergehend“ auf einen Ständer im Eingangsbereich gestellt und bisher blieb es dort stehen. P. Angelo sah sich das Relief an und entdeckte, dass Josef seine Hand auf die Schulter Marias legt und dass das Jesuskind in der Krippe offensichtlich an seinem Daumen lutscht. Ich muss zugeben, dass mir beides noch nicht aufgefallen war. Schließlich fragte Angelo auch, aus welchem Holz das Relief geschnitzt sei. Der zweite Gast, mit dem wir dort standen, war P. Chesco aus Tansania. Er konnte uns sagen, dass es sich um Holz vom Mninga-, bzw. Muninga-Baum handelt. Natürlich suchten wir im Internet ein Foto dieses afrikanischen Baumes. Genau hinschauen!
Tatsächlich gefallen mir im Normalfall auch Predigten, die genau hinschauen, die ein Detail aufgreifen, evtl. einer Kleinigkeit nachspüren oder irgendwie „an der Oberfläche kratzen“ und dadurch etwas tiefer gehen.
Und wie wohltuend sind Menschen, denen der Schatten auf dem Gesicht eines anderen auffällt und die sich vorsichtig nachzufragen trauen. Genau hinschauen!
Mit Sr. Bakhita war ich beim Einkaufen. Zwar dauerte es etwas, aber gleichzeitig freute ich mich darüber, wie sie das ein oder andere in die Hand nahm und sehr genau anschaute, evtl. auch noch einmal das Kleingedruckte auf der Rückseite des Produktes las. Und auf dem Heimweg sagte sie mir, wie schwierig es zurzeit (und bei diesen Temperaturen!) sei, einigermaßen frischen Salat zu finden. Genau hinschauen!
Benötigen wir diese Fähigkeit nicht in unseren Tagen in besonderer Weise? Wenn „alternative Wahrheiten“ und „fake news“ verbreitet werden. Mich schmerzt etwa, wenn kurz nach dem Tod von Papst Franziskus angebliche Informationen dazu benutzt werden, ihm Dinge zu unterstellen. Genau hinschauen!