Samstag, 31. Mai 2025

Tschenstochau

Die letzte Maiwoche verbrachte ich in Polen. Don Emanuele als Generalmoderator unserer Gemeinschaft befindet sich noch bis Mitte Juni zur Visitation unserer US-amerikanischen Provinz in den USA, so hat er mich gebeten, die Wahlversammlung der polnischen Mitbrüder am 26. und 27. Mai zu leiten.

Ich reiste am 24. nach Tschenstochau und ging gleich abends zum „Apel“, dem traditionellen Abendgebet, nach Jasna Góra. 1988 war ich zum ersten Mal dort und immer wieder berührt mich dieses Gebet. Ganz eng stehen die Menschen in der Kirche beieinander, wenn sie nicht zu den wenigeren gehören, die einen Platz in einer Kirchenbank gefunden haben. Interessanterweise schaffen es immer wieder einzelne, sich durch die eng stehenden Menschen noch weiter nach vorne zu drängen, was auch toleriert wird. 1988 erlebte ich den Ort und Anlass wie als „Raum der Freiheit“ in der kommunistisch geprägten Umwelt. Ähnlich wie Dietrich Bonhoeffer im Nazi-Gefängnis doch frei wirkte, so schien es mir hier eine kollektive Parallel-Erfahrung zu geben. Die Verhältnisse sind, wie sie eben sind, aber wir kommen hier zum Gebet bei der Mutter Gottes von Jasna Góra zusammen und das bestimmt uns letztlich und im Innersten.

Bei späteren Besuchen und auch jetzt wieder fragte ich mich bange und hoffnungsvoll gleichzeitig, ob dieses Freiheitsempfinden wie ehedem im Kommunismus jetzt auch im Kapitalismus trägt. Als ich am 27. abends noch einmal zum Apel ging, schien mir in den einleitenden Gedanken eines Priesters deutlich die Sorge angesichts der Präsidenten(stich)wahl am kommenden Sonntag und ihre möglichen Folgen, z.B. auf den schulischen Religionsunterricht, durchzuscheinen.

Gleichzeitig werden mir dabei auch unterschiedliche theologische Ansätze deutlich, wie sie sich z.B. bei der Weltsynode und nicht zuletzt bei der kontinentalen Synodalversammlung Europas in Prag gezeigt haben. Das Zusammenspiel von Kirche und Gesellschaft wird in den verschiedenen Ländern Europas sehr unterschiedlich gesehen. Und es ist zunächst einmal gut, sich dessen bewusst zu sein und in einem weiteren Schritt die „anderen“ zu verstehen zu versuchen.

Natürlich werde ich sehr gespannt den Ausgang der Präsidentenwahl in Polen verfolgen, zumal ich ja auf Schritt und Tritt, bzw. bei vielen Autokilometern den Wahlplakaten begegnet bin. Im Land schien mir die Sache nicht mehr ganz so einfach, wie ich zuvor gedacht hatte, ich gebe es zu.

Autokilometer: das hängt damit zusammen, dass ich Mariusz, einen wanderfreudigen polnischen Mitbruder gefragt hatte, ob wir nicht im Anschluss an die Wahlversammlung ein paar Tage gemeinsam wandern könnten. Er wollte mich stattdessen zum Kajak-Fahren überreden, aber dazu hatte ich nicht den Mut. So blieb es beim Wanderprojekt und wir fuhren von Tschenstochau aus in den Süden, an die tschechische Grenze, wo die Mitbrüder seit einigen Jahren eine Niederlassung haben und in einer Pfarrei tätig sind.

Das Wetter war uns in diesen Tagen nicht sehr gewogen. Am ersten Tag zogen wir los nach Czarna Góra und kamen ziemlich nass zurück. So dass wir uns am darauffolgenden Tag für Kultur entschieden und nach Kłodzko (früher Glatz) fuhren, wo es eine wunderschöne Altstadt mit einer beeindruckenden Festungsanlage zu sehen gibt. Auf der Rückfahrt besuchten wir noch die Goldmine in Złóty Stok (früher Reichenstein), ein Schaubergwerk, gemeinsam mit vielen anderen Menschen.

Am letzten Tag war noch einmal wandern angesagt, der śnieżnik, der Glatzer Schneeberg stand auf dem Programm. Zwar bekamen wir von der bei gutem Wetter wohl spektakulären Aussicht nichts mit, wir waren erneut in Wolken und Nieselregen, aber es war trotzdem schön.

 

Donnerstag, 15. Mai 2025

Päpste

„Warum schreiben Sie denn nichts zu dem, was sich momentan in Rom alles ereignet?“, so die Frage einer Leserin nach dem letzten Post.

Am Tag der Beerdigung von Papst Franziskus saß ich im Zug (Abfahrt in Rom um 10.00 Uhr, also exakt zur Zeit des Beginns der Beerdigungsmesse für Papst Franziskus), um in den Süden, nach Apulien, zu fahren. Leonardo, ein junger Mitbruder der italienischen Provinz der Missionare vom Kostbaren Blut hatte mich eingeladen, bei der Feier seiner Priesterweihe dabei zu sein. Keinen Moment dachte ich daran, mein Programm zu ändern, ich war mir sicher, dass der verstorbene Papst völlig einverstanden gewesen wäre. (Tatsächlich erzählte mir Leonardo von Kollegen, deren Bischof ihre Priesterweihe wegen des Papstbegräbnisses verschoben hatte…)

Ehrlich gesagt bin ich nicht unbedingt ein Freund von „Massenaufläufen“, auch Fußballstadien und Konzert-Arenen sind nicht „meine Welt“. Im Zusammenhang mit dem Papst, dem verstorbenen und dem soeben gewählten, stelle ich mir zusätzlich die ein oder andere Frage. Wir sind ja als Kirche – hoffentlich! – nicht ein „Verein von Papst-Fans“. Mit welchen Zahlen da operiert wird: einige betonten, dass jetzt nicht so viele Menschen in Rom waren wie damals, als Johannes Paul II. verstarb und beerdigt wurde. Die Zahl der akkreditierten Journalisten dagegen war wohl jetzt höher. Schon bei der Messe für den verstorbenen Papst Franziskus 4500, beim Konklave dann 5000. Klar leben wir im Zeitalter der (sozialen) Medien. Scheinbar beschäftigen sich Menschen auch damit, die Lautstärke des Beifalls bei Audienzen auf dem Petersplatz (in Dezibel!) zu messen und stellten fest, dass es seit Johannes Paul II. „leiser“ geworden ist. Wobei der Grund vermutlich im gestiegenen Handy-Gebrauch zu suchen ist: während früher Menschen die Hände noch zum Klatschen frei hatten, ist heute das Handy in der Hand, um Fotos zu machen. Na ja…

Bei den Bildern des Gratis-Konzerts von Lady Gaga an der Copacabana in Rio de Janeiro erinnerte ich mich an die Messe mit Papst Franziskus im Rahmen eines Weltjugendtages am selben Ort. Massen an Menschen! In Rom (und darüber hinaus) sagt man sehr nüchtern und lapidar: „morto un papa se ne fa un altro“ („ist ein Papst gestorben, dann wird eben ein neuer gewählt“), fast ein wenig wie „the show must go on!“. Meine Lieblingsautorin auf katholisch.de betonte am 5.5. die Notwendigkeit für jede/n Christen/in, selbst ein Gesicht der Kirche zu sein. Nicht nur der Papst…

Wobei ich durchaus ein Fan von Papst Franziskus war, bin und bleiben werde. Nach wie vor ist sein Foto (vor der Europa-Flagge) Bildschirmschoner auf meinem Laptop. Und ich erinnere mich daran, wie ich zu Pandemie-Zeiten, noch in Maria Baumgärtle, öfter am Morgen die Frühmesse aus Santa Marta eingeschaltet habe, um Franziskus Predigt zu hören. Danach musste ich ausschalten, um selbst zur Messe vor Ort zu gehen. Im Bücherregal steht ein Band mit Predigten von Jorge Mario Bergoglio aus seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires, in den ich regelmäßig hineinschaue. Besonders genossen habe ich stets die Aufzeichnungen der Begegnungen von Papst Franziskus mit seinen Mitbrüdern, den Jesuiten, für die er sich während seiner Reisen jeweils eigens Zeit nahm.

Als der soeben gewählte neue Papst Leo auf den Balkon trat, war ich nicht auf dem Petersplatz, sondern wie viele andere vor dem Bildschirm. Das lag daran, dass ich um 18.00 Uhr noch einen Webtalk mit Manfred Deselaers verfolgt hatte, der als Priester seit 30 Jahren in Auschwitz lebt. Immerhin war ja der 8. Mai, ein höchst passendes Datum für eine solche Veranstaltung. Als der Webtalk zu Ende ging, stellte ich fest, dass ich es wohl nicht mehr pünktlich auf den Petersplatz schaffen würde und setzte mich vor den Fernseher. „Wie wird der neue Papst grüßen? Buona sera, wie sein Vorgänger? Oder doch `Gelobt sei Jesus Christus´?“ Wunderbar dann sein Gruß: „der Friede sei mit Euch allen“. Da können alle zufrieden sein: der Gruß des Auferstandenen, der liturgische Gruß des Bischofs und ein Wunsch, gegen den wohl niemand etwas einwenden wird.

Am Sonntag bei der offiziellen Messe zur Amtseinführung des neuen Papstes möchte ich auf dem Petersplatz dabei sein…