Samstag, 31. August 2024

Rückbau, Umbau, Neubau

Es sieht lustig aus: auf der Fensterbank des riesigen Klostergebäudes (in T-Form, an einem Flügel zähle ich sechs Stockwerke, an einem Eingang steht: „Erbaut 1910 – 1911“) stehen Turnschuhe zum Lüften. Da ich auch noch ein buntes Kleid am Fenster hängen sehe, vermute ich einmal, dass es sich nicht um das Freizeitdress einer der Ordensfrauen handelt, die auch dort im Kloster leben. Das Gebäude des Schwesternklosters wird inzwischen von verschiedenen Menschen genutzt. Wie mir scheint, gilt das auch für den dazugehörigen großen Garten. Er ist teilweise in Parzellen eingeteilt, an denen Familiennamen stehen.

Gleich neben dem eben beschriebenen Kloster gibt es ein weiteres. Früher war dort eine Schule. Inzwischen halten noch zwei Ordensfrauen der Gemeinschaft die Stellung und auch ihr Gebäude, inclusive der großen landwirtschaftlichen Nutzfläche, wird von anderen genutzt.

Ähnliches wie das, was ich hier in Österreich sehe, habe ich kurz zuvor in der Schweiz zum Teil gesehen und auch von Ordensfrauen beschrieben bekommen. In einen leerstehenden Klostertrakt ziehen dort 100 Flüchtlinge ein – nicht nur zur Freude der Bevölkerung vor Ort.

Die Sozialgestalt der Kirche ändert sich. Es gibt viele Anzeichen dafür. Klostergebäude, welche leer stehen oder anders verwendet werden, sind ein Zeichen dafür. Veränderungen lösen gemischte Gefühle aus. Sie erzeugen Unsicherheit, manchmal Wehmut.

Beim Blick auf das eingangs beschriebene Kloster kann ich verstehen, dass früher manche/r Ordenschrist/in formulierte: „als ich noch in der Welt war“. Denn der Einzug in solch ein riesiges Gebäude, das Zusammenleben mit mehr als 100 Mitschwestern ist vermutlich zum Teil wirklich wie das Leben in einer eigenen, anderen Welt empfunden worden. Wenn sich das ändert, siehe die Sportschuhe zum Lüften am Fenster im Parterre des Klosters, dann mag das auf diesem Hintergrund eher positiv sein. Es mischen sich Lebenswelten. Und Menschen, die sich vielleicht irgendwie „aus der Welt“ zurück zu ziehen meinten, kommen auf einmal mit anderen Welten, Denk- und Lebensformen zusammen. Im Idealfall gibt es gegenseitige Neugier und bei Offenheit Erkenntnisgewinn auf allen Seiten. Las ich nicht neulich, dass eine im Vergleich zur Gesamtbevölkerung relativ hohe Lebenserwartung bei Ordensfrauen sich unter anderem auch mit einer festen Tagesstruktur (Gebets-, Essens-, Arbeitszeiten) und geregelten sozialen Beziehungen erklären ließe? Mag manchen überindividualisierten, atemlos hektischen Zeitgenoss/inn/en ein Denkanstoß sein.

In Verbindung damit bringe ich ein anderes Erlebnis der vergangenen Wochen. Seit vielen Jahren komme ich immer wieder an den römischen Hauptbahnhof Termini. Etwas für mich Typisches dort war für mich bisher, immer irgendwelche Priester oder Ordensleute in ihrer jeweiligen Tracht gesehen zu haben. Gehört/e einfach zum Erscheinungsbild von Termini dazu. Als ich Ende Juli von Rom abfuhr und noch eine halbe Stunde am Bahnhof stand, sah ich niemanden in Priestergewand oder Ordenstracht – es fiel mir tatsächlich auf. Natürlich war auch ich Priester in Zivil. (Beim Umsteigen in Mailand wurde ich dann versöhnt: dort waren nacheinander ein „frate“ und drei Ordensfrauen zu sehen.) Vielleicht geht es ja auch hier nicht nur um den Verlust eines offensichtlichen Zeugnisses, sondern um eine Vermischung von Welten, welche neue Denkanstöße mit sich bringt?

 

Donnerstag, 15. August 2024

Aldo und das Priester-Sein

Unter den Freiwilligen, die in dem Haus für Männer in schwierigen Lebenssituationen der Missionarinnen der Nächstenliebe Dienst tun, sind jetzt im Sommer auch Seminaristen aus einem Priesterseminar im Süden Italiens. Eine „Sozialwoche“ gehört für sie zum vierten Ausbildungsjahr. Mit einem von ihnen kam ich ein wenig ins Gespräch, ein fröhlicher junger Mann, der mich an manch andere Begegnungen mit Seminaristen an verschiedenen Orten erinnerte.

Natürlich unterscheiden sich angehende Priester voneinander: sie haben unterschiedliche familiäre, soziale und spirituelle Hintergründe, verschiedene theologische, politische und sonstige Ansichten. Auch ihre Priesterbilder bzw. ihre Vorstellungen vom priesterlichen Dienst sind unterschiedlich.

Aldo, der junge Mann aus Apulien, mit dem ich ein wenig plauderte, während ich Melanzane bearbeitete, scheint mir aus einer noch „heilen katholischen Welt“ zu stammen. Voller Freude erzählte er mir von seiner Heimatgemeinde, den Kontakten mit dem Pfarrer und mit anderen Priestern. Und in seiner Herkunftsfamilie ist kirchliches Engagement etwas zum Leben Gehörendes. Wie ernst seine Überlegungen waren, Kapuziner zu werden, weiß ich nicht. „Aber die Diözese ist halt doch die Diözese“, grinste er mich an.

Während ich mich auf der einen Seite über einen jungen Mann freue, der „unverkrampft katholisch“ scheint und offensichtlich mit Freude seinen Weg in Richtung Priesterweihe geht, hoffe ich auf der anderen Seite, dass sein Blick nicht zu eng wird. Die italienischen Nachrichten berichteten Ende Juli viel über die Konzerte von Taylor Swift in Mailand, die deutschen dann von denen in Hamburg und München. Vielleicht ist die Parallele unpassend, aber mir kam sie doch: wie manche jungen Fans ihrem Idol Taylor Swift nahe sein wollen, so gibt es (immer noch!) junge Leute, welche sich von der „Kirchen-Welt“ angezogen fühlen: der Erhabenheit der Liturgie und der Schönheit liturgischer Gewänder, dem Weihrauchduft, dem besonderen Platz im Altarraum, einem Leben im Pfarrhaus etc.

Schön und gut, warum auch nicht? Für viele Priester und Ordensleute gab es konkrete Bezugspersonen, welche entscheidend für den eigenen Weg waren, Vorbilder.

Im Rückblick auf meinen eigenen Weg bilde ich mir ein, dass es da noch eine andere Schiene gab. Als ich als Jugendlicher, fast noch Kind, lernte, mit dem Evangelium zu leben, da war genau dies das Faszinierende. Die Frage einer konkreten Berufung trat zunächst dahinter zurück. Das kristallisierte sich dann schon mit der Zeit auch heraus.

Von daher ist mir eine gewisse Skepsis gegen manche Maßnahmen der Berufungspastoral geblieben, wenn sie nicht tatsächlich bei der Berufung aller Getauften ansetzen. Und von daher bin ich so dankbar für die aktuelle Synode auf Weltebene, welche eben Kirche als Volk Gottes neu aufleuchten lässt, Gemeinschaft der Getauften auf dem Weg. Da mag es dann unter den Wandernden schon Wasserträger und Straßenkünstler geben, aber zunächst einmal alle auf dem Weg.

Ende Juni wurden zwei junge italienische Mitbrüder zu Diakonen geweiht. Sie hatten mich zur Feier eingeladen und ich überlegte, was ich ihnen schenken könnte. Ein Buch? Gefällt mir, aber jungen Männern heute? Ich fragte einen Mitbruder um Rat: „eine kleine Ikone“? Oh je, ob das besser ist? Ich erinnerte mich an den italienischen Bischof Tonino Bello, der von der Schürze als dem eigentlichen Diakonengewand sprach, nicht der Stola. Also kaufte ich zwei Schürzen (für Männer!) und fand dann in Nähe noch eine Schneiderei, wo sie mir „Lc (deutsch: Lk) 22,27“ auf die Schürze stickten…